Marcus Annaeus Lucanus

Marcus Annaeus Lucanus (* 3. November 39 n. Chr. in Córdoba, † 30. April 65), bekannt als Lucan, war ein römischer Dichter und Neffe Senecas.


Leben

Lucans Vater Marcus (?) Annaeus Mela war Sohn von Seneca 'dem Älteren' und Bruder von Seneca 'dem Jüngeren'. Nach der üblichen rhetorischen Ausbildung wurde Lucan in den Kreis der gebildeten Jeunesse dorée am Hofe Kaiser Neros aufgenommen. Obwohl er 60 n. Chr. an den Neronia einen Preis für einen Panegyrikus auf Nero gewann, wurde ihm bald darauf ein Publikationsverbot erteilt, angeblich weil der Kaiser auf Lucans überlegenes Talent neidisch war. Lucan soll sich der erfolglosen Pisonischen Verschwörung angeschlossen haben, jedenfalls wurde er am 30. April 65 zum Selbstmord gezwungen. Er schnitt sich die Pulsadern auf und soll einen Passus aus seinem unvollendeten Epos (s.u.) rezitiert haben, während er verblutete.


Werk

Von Lucans für seinen frühen Tod umfangreichem Werk ist neben spärlichen Fragmenten nur ein unvollendetes Epos über den römischen Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius erhalten, das in den Handschriften als Bellum civile (Der Bürgerkrieg) überliefert ist und oft als Pharsalia (etwa: Gedicht über die Schlacht von Pharsalos) zitiert wird. Erhalten sind 10 Bücher, deren letztes mitten im Satz abbricht; der geplante Umfang ist umstritten, vermutlich sollte es in 12 Büchern bis zum heroischen Tode Catos des Jüngeren in Utica reichen, da Cato im Verlauf der Handlung immer mehr als Held hervortritt.

Glanzpunkte der Darstellung sind die Schilderung der Seeschlacht vor Massilia, aber auch die umfangreiche Schilderung der Schlacht von Pharsalos. Immer wieder schaltet Lucan Exkurse in seine Darstellung ein, so u. a. einen sehr eindrucksvollen Katalog der Giftschlangen und der durch sie verursachten Todesarten, mit denen die römischen Soldaten in der Wüste Nordafrikas zu kämpfen haben. Auch diese Textpassagen sind immer wieder von Motiven des Grausigen durchzogen.

Nicht unbedingt die Wahl des historischen Themas, aber seine Ausführung ist äußerst kühn: Lucan verzichtet auf den im Epos bis dahin üblichen Götterapparat, über den Menschen sieht er höchstens Fortuna und das Schicksal in blinder Willkür regieren. Die Sprache Lucans ist sehr manieriert, und wie alle Epiker der Silbernen Latinität erheblich schwerer zu lesen als etwa Vergil oder Ovid. Sie zeichnet sich jedoch durch rhetorische Brillanz aus und ist gespickt mit glänzenden Sentenzen und zahlreichen sarkastischen Pointen; das Paradoxon ist eines seiner häufigsten Stilmittel. Damit unterstreicht er die grundsätzliche Absurdität und Verkehrtheit der Welt, die er schildert. Ein weiteres wichtiges Charakteristikum seiner Schreibweise sind die zahlreichen reflektierenden und argumentierenden bis anklagenden Passagen; das antike Epos konzentriert sich normalerweise auf die Handlung, während der Erzähler sich mit Kommentaren zurückhält.


Wirkung

In der römischen Kaiserzeit stritt man sich darüber, ob Lucan als Dichter oder als Historiker zu werten sei, weil er auf den im Epos traditionell üblichen Götterapparat verzichtet; schon sein Zeitgenosse Publius Petronius Niger gibt in seinen Satyrica den Anfang eines ironischen Alternativgedichtes. In Spätantike und Mittelalter galt Lucan als einer der bedeutendsten antiken Dichter, er wird in einem Atem mit Vergil genannt. So führt Dante im Inferno (IV 88-90) seiner Göttlichen Komödie unter den Weisen und Dichtern des Altertums, die in einem besonderen Bereich des Limbus ein schmerzloses Dasein genießen, neben Homer und Vergil eben Lucan auf. Goethe kannte Lucan noch, schätzte ihn allerdings nicht sonderlich; immerhin taucht eine von Lucan erfundene Figur, die Hexe Erictho, in der Klassischen Walpurgisnacht (Faust II) auf. Hölderlin hat das 1. Buch der "Pharsalia" übersetzt; das Freiheitspathos Lucans fand verschiedentlich bei jungen Schriftstellern Anklang. Im 18. und 19. Jahrhundert verfiel jedoch Lucans Ruhm, da seine Sprache oft als bloße Rhetorik gewertet und für undichterisch gehalten wurde.

Das 20. Jahrhundert hat, nicht zuletzt unter dem Schrecken der beiden Weltkriege, Lucan allmählich als Dichter wiederentdeckt; so wird in der neuesten Forschung Lucans Text mit der Literatur über den Luftkrieg (Gert Ledig: Vergeltung) in Beziehung gebracht. Heute werden seine gewagten Bilder und Metaphern oft als seine eigentliche Kunst und Bedeutung gesehen. Obwohl Lucan so in der Wissenschaft mittlerweile wieder große Beachtung findet, hat sich er sich nicht als Schulautor etablieren können. Vielen Didaktikern gilt er als zu schwer, sein Stil als für junge Leser nicht zugänglich. Eine Schulausgabe steht daher aus.


Literatur

Ausgaben von Lucans Werk

  • Lucan: M. Annaei Lucani De bello civili libri X. Edidit D. R. Shackleton Bailey. 2. Aufl. Teubner, Stuttgart 1997. – Aktuelle kritische Textausgabe.
  • Lucanus: Bellum civile. Der Bürgerkrieg. Hrsg. und übers. von Wilhelm Ehlers. Heimeran, München 1973. – Genaueste deutsche Übersetzung.
  • Lucan: Civil War. Translated with an Introduction and Notes by Susan H. Braund. Oxford University Press, Oxford 1992 u.ö. – Auch stilistisch genaue Übersetzung.

Über Lucan

  • Werner Rutz (Hrsg.): Lucan. WBG, Darmstadt 1980 (Wege der Forschung). – Guter Überblick über die Hauptfragen und -strömungen der Forschung
  • Werner Rutz: Lucans 'Pharsalia' im Lichte der neuesten Forschung. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt (ANRW), Reihe 2 Band 32 Teilband 3, 1985. Seite 1457-1537. – Ergänzung und weiterführende Literatur
  • Christine Walde (Hrsg'in.): Lucan im 21. Jahrhundert, München/Leipzig 2005.

Weblinks

Literatur von und über Marcus Annaeus Lucanus im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek



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