Nika-Aufstand

Der Nika-Aufstand war eine Volkserhebung in Konstantinopel, zu der es 532 während der Regierungszeit des oströmischen Kaisers Justinian I. kam. Er gilt als die schwerste Circusunruhe der Spätantike


Ursachen

Um die besondere Heftigkeit des Aufstandes zu verstehen, ist es nötig, sich das Klima in der oströmischen Gesellschaft dieser Zeit vor Augen zu rufen. Die ehrgeizigen Pläne Justinians und der Krieg gegen Persien veranlassten ihn offenbar zu einer besonders rigiden Steuerpolitik, von der sowohl das einfache Volk als auch die herrschenden Schichten betroffen waren. Des Weiteren setzte unter dem Regime Justinians ein besonderer Sparkurs ein, durch den viele staatliche Angestellte ihre Arbeit verloren. So wurde beispielsweise das Postsystem bis auf die Verbindung nach Persien und die wichtigsten Heeresstraßen stark eingeschränkt. Vor allem aber präsentierte sich der Kaiser stärker als seine Vorgänger als "Herrscher von Gottes Gnaden" und stieß mit seiner nahezu absolutistischen Vorstellung vom Kaisertum gerade unter den Senatoren auf Widerstand. Dazu kam noch der strenge Kurs Justinians gegen die Zirkusparteien, der im krassen Gegensatz zu seiner Förderung der Fraktion der Blauen vor seiner Erhebung zum Kaiser stand.

Verlauf

Die Darstellung des Verlaufs des Aufstandes richtet sich im Folgenden nach den Angaben in den Quellen. Auf mögliche weiter Auslegungsmöglichkeiten soll unter dem Punkt zur Rezeption eingegangen werden.

Vorspiel

Im Vorfeld zum Aufstand wurden mehrere Unruhestifter, die Parteigänger der Zirkusfraktionen waren, zum Tode verurteilt. Nachdem die ersten Hinrichtungen vollstreckt waren, versagte bei zwei Delinquenten mehrmals der Galgen oder der Strick. Darin sah das anwesende Volk ein Zeichen Gottes. Dies erwies sich als besonders verhängnisvoll, da die beiden Verbrecher jeweils den verfeindeten Zirkusparteien zuzurechnen waren. Die aufgebrachte Menge unterstützte im folgenden Tumult eine Gruppe von Mönchen, die die Verurteilten in den Schutz eines Klosters brachten.

Justinian I., Mosaikbild aus St. Vitale in Ravenna

Unruhen

Drei Tage später, am 13. Januar wurden im Hippodrom die Zirkuspiele zu den Iden abgehalten. Nach 22 Durchläufen begannen die Zirkusparteien die Freilassung der Gefangenen zu fordern. Bei Theophanes ist ein Protokoll überliefert, das vermutlich in diesen Zusammenhang gehört: Als Justinian nicht antwortete (ein ungewöhnliches Verhalten für einen spätantiken Kaiser), erklang die unerhörte Akklamation „Den die Menschen liebenden Blauen und Grünen viele Jahre!“. Die gegnerischen Fraktionen hatten sich gegen den Kaiser vereint. Als Kennwort untereinander benutzte man das Wort „Nika“ (νίκα, „Siege!“), das der Erhebung den Namen gab. In der Folge kam es am selben Tag noch zu einem Angriff auf das Prätorium des Stadtpräfekten.

Vermutlich um einen Eindruck der Normalität zu erwecken und um das Volk zu beruhigen, wurden die Rennen am 14. Januar nicht abgesagt. Die Massen, die sich im Hippodrom einfanden, randalierten jedoch bald weiter, wobei die Holzbänke des Hippodroms und die Arkaden der Hauptstraße bis zu den Thermen des Zeuxippos in Flammen aufgingen. Als Reaktion gingen die verbliebenen kaisertreuen Einheiten unter Mundus, Constantiolus und Basilides gegen die Aufständischen vor.

Politischer Protest

Als die Unruhen kein Ende fanden, wurde ruchbar, worin die Forderungen der Aufständischen bestanden. Es wurden die Entlassungen der hohen Beamten Johannes des Kappadokiers, Eudamions, des Stadtpräfekten und Tribonianus, des leitenden Juristen des Kaisers, gefordert. Als Justinian diese Forderungen erfüllte, gingen die Unruhen aber trotzdem weiter. Daraufhin ging der gerade vom Krieg mit den Persern zurückgekehrte Feldherr Belisar mit seiner Leibgarde aus Goten gegen die Aufständischen vor

Offener Aufstand

Als die Forderungen der Aufständischen erfüllt worden waren, zeigte sich, dass die Unruhen sich zu einem offenen Aufstand gewandelt hatten, dessen Ausgang noch vollkommen offen war. In der Nacht des 14. Januar zum 15. Januar wurden im Palastviertel die Chalke, die Senatscuria, die Unterkünfte der Palastwachen der scholarii, protectores und candidati, das Kaiserforum (Augusteum) und die Kirche der Hagia Sophia angezündet. Die Fronten hatten sich verhärtet. Möglicherweise fällt eine von Prokop überlieferte Rede der Kaiserin Theodora I., die Justinian zur Stärke aufrief, in diese Phase. Die Authentizität dieser Rede ist jedoch überhaupt sehr fraglich.

Die Aufrührer begannen spätestens in dieser Phase mit dem Gedanken an einen neuen Kaiser zu spielen. So zog am 15. Januar eine Menge zum Haus des Probus, eines Neffen des ehemaligen Kaisers Anastasios I., und verlangte mit den Rufen „Probus, Kaiser für Rom“ Waffen für die Aufständischen. Als die Antwort ausblieb, legten sie Feuer an das Haus.

Am 16. Januar verwüsteten Aufständische das Archiv des Praetoriums, wahrscheinlich um belastende Strafakten zu vernichten. Das Feuer, dass sie dabei legten, griff durch einen ungünstigen Wind um sich und verbrannte die Kirche der Hagia Eirene, die Thermen des Alexander, zwei kaiserliche Villen, die Basilika des Illus und das Hospiz des Samson, sowie das des Eubulus.

Da sich die Truppen der Palastwache neutral verhielten, hatte Justinian anscheinend weitere Truppen aus den nahen Garnisonen von Hebdomon, Rhegio, Athyras und Calabria angefordert, die am 17. Januar mit den Aufständischen zusammenstießen. Dabei verbrannten Teile des Octagons genannten Gebäudes, der Portikus der Silberschmiede, das Haus des Symmachus, die Kirchen des St. Aquilian und die des St. Theodor, sowie ein Bogen auf dem Forum Konstantins. Bei einer weiteren Aktion wurden Liburnon und Magnaura angezündet. Das Ergebnis des folgenden Straßen- und Häuserkampfes war unentschieden. Spätestens seit sich die neuen Truppen in der Stadt befanden, war die Niederwerfung des Aufstands jedoch wohl nur noch eine Frage des Zeit.

Am Morgen des 18. Januar ließ Justinian das Volk ins Hippodrom rufen und bot den Beteiligten am Aufstand Straffreiheit an. Zunächst schien das Volk darauf einzugehen, doch dann kippte die Stimmung und Hypatius, ein anderer Neffe des Anastasius, wurde auf dem Forum Konstantins unter Beteiligung einiger Senatoren zum Gegenkaiser ausgerufen.

Niederschlagung

Die Rolle des Hypatius lässt sich nicht endgültig klären. Angeblich versuchte er nach seiner Krönung mit Justinian Kontakt aufzunehmen und sich dessen Gnade zu unterwerfen. Anscheinend gab die falsche Nachricht, Justinian sei auf einem Boot geflüchtet, jedoch den Ausschlag, dass Hypatius seine (tragische) Rolle schließlich akzeptierte. Wahrscheinlicher ist aber, dass Hypatius als Kandidat der senatorischen Opposition den Aufstand nutzen wollte, um an die Macht zu gelangen.

Inzwischen war es aber dem Hofkämmerer Narses gelungen Teile der Blauen zu Gunsten Justinians zu bestechen. Als die kaisertreuen Einheiten unter Mundus, Belisar und Constantiolus daraufhin an mehreren Stellen im Hippodrom eindrangen, entspann sich ein furchtbares Massaker und wohl auch eine Massenpanik, der vermutlich um die 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Am Folgetag wurden Hypatius und der mit ihm verhaftetet Pompeius hingerichtet und ihre Leichen ins Marmarameer geworfen.

Folgen

Insgesamt bewirkte das entschlossene Vorgehen gegen die Aufständischen eine Stärkung des Kaisers und eine Entmachtung der ohnehin schon recht schwachen senatorischen Opposition. Andererseits blieb Justinian bei der städischen Bevölkerung noch lange verhasst. Weiterhin wurde anscheinend der Einfluss von Belisar, Narses und vor allem Theodora gestärkt, die in der Folgezeit politisch besonders in Erscheinung treten sollten. Belisar, der zuvor aufgrund einer Niederlage gegen die Sassaniden in Ungnade gefallen war, konnte durch sein kaisertreues Verhalten die Gunst Justinians wieder erlangen und wurde im folgenden Jahr mit der Leitung der Militärexpedition gegen die Vandalen beauftragt. Narses, sein Rivale, sollte in den folgenden Jahrzehnten ebenfalls höchst einflussreich bleiben.

Die mit dem Aufstand entstandenen Zerstörungen in Konstantinopel boten Justinian außerdem die Möglichkeit zu ambitionierten Bauvorhaben in der Hauptstadt, in deren Zuge vor allem die verwüstete und niedergebrannte Hagia Sophia neu errichtet wurde.

Nach den Geschehnissen des Nika-Aufstands wurden in den Folgejahren über längere Zeit keine Rennen im Hippodrom abgehalten.

Rezeption

Trotz oder gerade wegen der verhältnismäßig dichten Quellenlage zum Nika-Aufstand durch die Augenzeugen Prokopios und (vielleicht) Johannes Malalas gibt es unter Historikern mehrere Deutungsweisen. Während Alan Cameron zumindest in der Anfangsphase eine typisch spätantike, von den Zirkusparteien ausgehende Unruhe zu erkennen meint, gingen Historiker im ehemaligen Ostblock (wohl fälschlich) von einem spontanen reinen Volksaufstand aus. In jüngerer Zeit wurde mehrfach vermutet, dass die bzw. einige Senatoren von Anfang an als treibende Kraft hinter den Aufständischen auszumachen sind. Eine weitere, jedoch sehr umstrittene, Theorie sieht sogar Justinian selbst als Urheber, der den Aufstand nutzen wollte, um die ungeliebte Opposition ausschalten zu können (M. Meier).

Zudem sind die so genannten Akta diá Kalopódion ein Streitpunkt der Historiker. Bei dieser Beschreibung einer Auseinandersetzung der Zirkusparteien mit Justinian im Hippodrom ist nicht geklärt, ob sich wirklich ein Zusammenhang mit dem Nika-Aufstand herstellen lässt

Literatur

Primärliteratur

  • Prokopios von Caesarea: „Kriege“, 1,24; „Geheimgeschichte“, Kap. 7.
  • Johannes Malalas: „Weltchronik“, 18, 473ff.
  • Marcellinus Comes: ad annum 532
  • Anonymus: „Chronicon Paschale“, Olympiad 327.
  • Theophanes: „Weltchronik“, 181.24-186.2.

Sekundärliteratur

  • Franz Tinnefeld: Die frühbyzantinische Gesellschaft. Struktur-Gegensätze-Spannungen, 2.7 „Der Senat unter Justinan seit dem Nikaaufstand“ S. 83-85 und 5.1.2 „Das Volk als politischer Faktor in der Hauptstadt“ (S. 194-199), München: 1977. Tinnefeld meint, im Nika-Aufstand würde die geheime Opposition aus Senatskreisen an den Tag treten.
  • Aleksandra A. Cekalova: Konstantinopol` v VI veke. Vosstanie Nika. [Konstantinopel im 6. Jh. Der Nikaaufstand.] Moskva, Nauka 1986.175S., 1 Karte. Cekalova sieht wenigstens in den ersten Tagen im Nika-Aufstand einen reinen Volksaufstand, der dann von Senatoren zu eigenen Zwecken manipuliert worden sei.
  • Hans-Georg Beck: Kaiserin Theodora und Prokop. Der Historiker und sein Opfer, München 1986, S. 35-40. Seinem Thema entsprechend betont Beck den Machtzuwachs Theodoras nach dem Aufstand.
  • James A.S. Evans: The 'Nika' Rebellion and the Empress Theodora, in: Byzantion 54 (1984), S. 380-82.
  • Alan Cameron: Circus factions. Blues and Greens at Rome and Byzantium, Oxford 1976. Camerons Buch dient als Grundlage zur Analyse von Geschehnissen an denen die Zirkusparteien beteiligt sind. Im Kapitel „Two special cases“ (S.278-281) geht er näher auf den Nika-Aufstand ein. Er stuft ihn zumindest zu Beginn als typische Erhebung der Zirkusparteien ein.
  • Geoffrey B. Greatrex: The Nika Riot: A Reappraisal, in: JHS 117 (1997), S. 60-86. Greatrex untersucht sehr detailliert vor allem die sich ändernde Dynamik im Verlauf des Aufstandes.
  • John B. Bury: The Nika Riot, in JHS 17 (1897), S. 92-119. Dieser 100 Jahre vor Greatrex entstandene Artikel ist durch seinen Quellenvergleich immer noch lesens- und empfehlenswert.
  • Mischa Meier: Die Inszenierung einer Katastrophe: Justinian und der Nika-Aufstand, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 142 (2003), S. 273-300. Meiers Thesen sind umstritten. Er sieht den Aufstand als einen vom Kaiser inszenierten Akt an, wodurch Justinian seine Herrschaft stabilisierte und sich ihm unliebsamer Konkurrenz entledigte.

Weblinks

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