Noricum

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Noricum war ein Königreich des keltischen Stammes der Noriker im Gebiet des heutigen Österreich und später unter der Bezeichnung Regnum Noricum eine Provinz des Römischen Reiches. Es umfasste als Provinz ungefähr die heutigen österreichischen Bundesländer Kärnten, Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich und Steiermark sowie Südostoberbayern mit dem Chiemgau. Angrenzend waren Raetia im Westen, Pannonia im Osten und Italia im Südwesten. Im Süden befand sich das italienische Kernland, im Norden reichte das keltische Königreich im Gegensatz zu späteren römischen Provinz über die Donau hinaus. Erst unter der Herrschaft Roms bildete die Donau die Grenze des Imperiums und somit auch der Provinz.

Die ursprüngliche Bevölkerung war heterogen und scheinbar dominiert durch den Illyrern nahestehenden Stämmen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. Zuwanderung keltischer Bevölkerungselemente. Um 200 v.Chr. schlossen sich unter der Führung der Noriker dreizehn keltische/illyrische Stämme zum Königreich von Noricum zusammen. Acht Stämme sind namentlich bekannt: Ambidraven, Ambilinen, Ambisonten, Helvetier, Laianken, Noriker, Saevaten und Uperaken.

Die Lage der Hauptstadt Noreia ist bis heute unbekannt geblieben. Die Noriker waren bekannt für ihre Metallwaren, insbesondere der Schwerter, was eine Erklärung für ihre relativ lange Selbstständigkeit sein könnte.

Zeit der Selbständigkeit

Um 120-115 v.Chr. fielen in Noricum die germanischen Stämme der Kimbern, Ambronen und Teutonen ein, die vorher von den Boiern im Böhmischen Kessel, den Skordiskern am Balkan und schlussendlich Tauriskern abgewehrt worden waren. Im Jahre 113 v.Chr. erlitt bei Noreia ein römisches Heer eine vernichtende Niederlage, woraufhin die Invasoren Noricum verließen und nach Westen zogen. Durch den Druck der Germanen, insbesonders der Sueben, gerieten im Norden und Nordosten die Boier in Nachbarschaft Noricums (im Gebiet des späteren Regnum Vannianum — Marchfeld, Weinviertel, Wiener Becken), wobei Pressburg ihr wichtigstes Oppidum war. Um 58 v.Chr. versuchten die Boier, Noricum zu erobern, erlitten jedoch eine vernichtende Niederlage. Im Pakt mit den Tauriskern bedrohten sie dann über Jahre hinweg Noricum, bis ihr Reich von den Dakern zerstört wurde.

Im Jahr 49 v.Chr. schickte der norische König (vermutlich Voccio) Caesar Hilfstruppen für den Bürgerkrieg. Infolge der Niederlage der Boier gegen die Daker wurde der Donauraum angegliedert oder in Abhängigkeit gebracht, die Macht Noricums reichte bis ins Wiener Becken und nach Westungarn. Somit gelang den Norikern die letzte überregionale Machtbildung der Festlandkelten.

Römische Zeit

Noricum wurde im Jahr 15 v. Chr. Teil des römischen Reichs. Zunächst behielt es eine eingeschränkte Autonomie als tributpflichtiges Fürstentum, doch unter Kaiser Claudius wurde es um 40 n. Chr. endgültig eine römische Provinz.

Noricum wurde von den Römern in den folgenden Jahrhunderten mit einem dichten Fernstraßennetz überzogen. Zahlreiche Meilensteine und andere archäologische Funde legen davon Zeugnis ab. Die besterforschte römische Straßenstation Noricums ist Immurium (Moosham, Bundesland Salzburg), am Südfuß des Radstädter Tauernpasses.

Bei der unter Kaiser Diokletian vorgenommenen Verwaltungsreform wurde Noricum der Diözese Illyria zugeschlagen. Die Provinz selbst wurde geteilt in

  • Noricum Ripense ("Ufer-Noricum", gemeint ist das Donau-Ufer) im Norden des Alpenhauptkamms und
  • Noricum Mediterraneum ("Binnen-Noricum") im Süden.

Die römische Provinz Noricum Ripense wurde durchflossen von Narus (Salzach) und Anisus (Enns), die Westgrenze bildete der Aenus (Inn), die Nordgrenze Danuvius (Donau). Die bedeutendsten Städte waren Lauriacum (Lorch-Enns), Lentia (Linz), Ioviaco (Schlögen), Iuvavum (Salzburg), Cucullis (Kuchl), Favianis (Mautern), Cetium (St. Pölten), Comagenis (Tulln) und Asturis (Zeiselmauer). Verwaltungssitz war Lauriacum.

Die römische Provinz Noricum Mediterraneum wurde durchflossen vom Dravus (Drau). Die bedeutendsten Städte waren Aguntum (Lienz), Tiburnia oder Teurnia (St. Peter im Holz), Virunum (Zollfeld), Poetovio (Ptuj, dt. Pettau) und Flavia Solva (bei Leibnitz). Verwaltungssitz war Teurnia.

Lauriacum in Noricum Ripense (Ufer-Noricum) und Poetovio, Aguntum, Teurnia und wahrscheinlich auch Virunum (Binnen-Noricum) waren Bischofssitze, die dann in den Wirren der Völkerwanderung untergegangen sind.

Im 2. Jhd. litt Noricum unter den Markomannenkriegen. Später wurde es von germanischen Stämmen bedroht, weswegen Virunum aufgelassen und die Hauptstadt nach Teurnia verlegt wurde. Nach dem Zerfall des römischen Reiches blieb die römische Verwaltung noch eine Zeitlang erhalten, bis das Gebiet von Awaren und Slawen erobert wurde.

Eine herausragende Gestalt der römischen Spätzeit in dieser Region war der hl. Severin von Noricum (um 410 - 08. Januar 482), Einsiedler, Abt und auch hoher römischer Verwaltungsangestellter. Severin wurde durch seine diplomatische und ausgleichende Verhandlungsführung bekannt, besonders mit dem nördlich der Donau um Krems siedelnden und sehr friedlichen Stamm der Rugier.

Entgegen veralteter Ansichten wanderte die keltisch-romanische Bevölkerung nur zu einem kleinen Teil ab. Namenskontinuität in Toponymen sowie eine Fülle archäologischer Funde belegen eine breite kulturelle Kontinuität über den offiziellen Zusammenbruch der römischen Verwaltung in den norischen Regionen hinaus und verbinden die römische Zeit über die Spätantike mit dem Frühmittelalter.


Literatur

Allgemeines

  • Géza Alföldy: Patrimonium Regni Norici - Ein Beitrag zur Territorialgeschichte der römischen Provinz Noricum. In: Bonner Jahrbücher Band 170, 1970, S. 163-177.
  • Géza Alföldy: Noricum, London 1974.
  • Géza Alföldy: Die regionale Gliederung in der römischen Provinz Noricum. In: G. Gottlieb (Hrsg.), Raumordnung im Römischen Reich, 1989, S. 37-55.
  • Géza Alföldy: Die Ostalpenländer im Altertum - Regionalgeschichte und europäische Geschichte. In: Tyche Band 13, 1998, S. 1-18.
  • Karlheinz Dietz: s. v. Noricum. In: Der neue Pauly (DNP) - Enzyklopädie der Antike, Band 8 (2000), Sp. 1003-1007, ISBN 3-476-01470-3.
  • Jenö Fitz: Noricum und Pannonien zur Zeit der römischen Okkupation. In: Römer in Österreich Band 17/18, 1989-1990, S. 79-86.
  • P. Gleirscher: Vallis Norica. In: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung Band 97, 1989, S. 1-11.
  • A. Schober: Die Römer in Österreich und in den angrenzenden Gebieten von Slowenien, 2. Auflage 1953.
  • H. Ubl: Noricum. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, 2., völlig neu bearb. und stark erweiterte Auflage, Band 21 (2002), S. 324-340, ISBN 3-11-017272-0.
  • Hermann Vetters: Zur Geschichte Noricums in der Römerzeit. In: Die Römer an der Donau - Noricum und Pannonien (Katalog der Ausstellung des Niederösterreichischen Landesmuseums), 1973, S. 17-30.
  • E. Weber: Pannonien, Noricum und das Gebiet an der Donau. In: Römer in Österreich Band 15/16, 1987-1988, S. 191-199.
  • G. Winkler: Noricum und Rom. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Band II 16 (1977), S. 183-262.
  • Hartmut Wolff: Die verspätete Erschließung Ostraetiens und der Nordgrenze von Noricum. In: Ostbairische Grenzmarken Band 30, 1988, S. 9-16.

Vor- und frührömisches Noricum

  • Gerhard Dobesch: Die Kelten in Österreich nach den ältesten Berichten der Antike - Das norische Königreich und seine Beziehungen zu Rom im 2. Jh. v. Chr., Wien u. a., 1980.
  • Gerhard Dobesch, Die Okkupation des Regnum Noricum durch Rom. In: Studien zu den Militärgrenzen Roms Band 3, 1986, S. 308-315.
  • R. Göbl: Die Münzprägung der norischen Fürsten. In: J. Grabmayer (Hrsg.), Die Kultur der Kelten, 1989, S. 54-66.
  • R. Göbl: Die Prägegemeinschaft der Reguli im Noricum vor der römischen Landnahme und die Konsequenzen für die Geschichtsforschung. In: 'Römisches Österreich Band 15/16, 1987-88, S. 63-81.
  • Peter Kneissl: Zur Entstehung der Provinz Noricum. In: Chiron Band 9, 1979, S. 261-273.
  • M. Sasel-Kos: The End of the Norican Kingdom and the Formation of the Provinces of Noricum and Pannonia. In: B. Djuric u. I. Lazar (Hrsg.), Akten des IV. Internationalen Kolloquiums über Probleme des provinzialrömischen Kunstschaffens, 1997, S. 21-42.
  • H. Straube: Ferrum Noricum und die Stadt auf dem Magdalensberg, 1996.
  • E. Weber: Noricum und die „Verleihung des Provinzialstatus“. In: H. Valentinitsch (Hrsg.), Recht und Geschichte - Festschrift H. Baltl, 1988, S. 611-617.

Militär- und Verwaltungsgeschichte

  • H. Grassl: Noricum im Bürgerkrieg des Jahres 196-197 n. Chr.. In: Römisches Österreich Band 2, 1974, S. 7-10.
  • M. Hainzmann: Fragen der Militär- und Zivilverwaltung (Ufer-)Norikums. In: Spezima Nova Universitatis Quinqueecclesiensis Band 11, 1995, S. 59-70.
  • N. Hanel, C. Schucany (Hrsg.): Colonia-municipium-vicus - Struktur und Entwicklung städtischer Siedlungen in Noricum, Raetien und Obergermanien, 1999.
  • Joachim Ott: Die norischen Militärdiplome und ein neuer Statthalter der Provinz. In: Rivista di Storia Antica Band 25, 1995, S. 91-110.
  • Joachim Ott: Die Kommandeure der norischen Hilfstruppen. In: Tyche Band 10, 1995, S. 107-138.
  • G. Ulbert: Zur Grenze zwischen den römischen Provinzen Noricum und Rätien am Inn. In: Bayerische Vorgeschichtsblätter Band 36, 1971, S. 101-123.
  • G. Winkler: Die Reichsbeamten von Noricum und ihr Personal, 1969.
  • G. Winkler: Die römischen Straßen und Meilensteine in Noricum, 1985.

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

  • S. Dusanic: Aspects of Roman Mining in Noricum, Pannonia, Dalmatia and Moesia Superior. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt Band II, 6, 1977 S. 52-94.
  • Jochen Garbsch: Die norisch-pannonische Tracht. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Band II 12.3, 1985, S. 546-577.
  • K. Genser: Die ländliche Besiedlung und Landwirtschaft in Noricum während der Kaiserzeit (bis einschließlich 5. Jahrhundert). In: H. Bender und H. Wolff (Hrsg.), Ländliche Besiedlung und Landwirtschaft in den Rhein-Donau Provinzen des römischen Reiches, 1994, S. 331-376.
  • H. Grassl: Die wirtschaftlichen Grundlagen für das Kunstschaffen in Noricum. In: Mitteilungen der Archäologischen Gesellschaft der Steiermark" Band 5, 1991, S. 3-13.
  • J. Sasel: Noricum. In: F. Vittinghoff (Hrsg.), Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der römischen Kaiserzeit, 1990, S. 563-569.
  • Eleni Schindler Kaudelka, Ulrike Fastner und Michael Gruber: Italische Terra Sigillata mit Appliken in Noricum, mit einem Beitrag von Gerwulf Schneider (Archäologische Forschungen Band 6 - Denkschriften der philosophisch-historischen Klasse Band 298), Wien, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2002, 205 S., 105 Taf., CD-ROM, ISBN 3-7001-3025-2.

Noricum in der Spätantike

  • I. Bóna: 'Die Hunnen in Noricum und Pannonien - Ihre Geschichte im Rahmen der Völkerwanderung. In: D. Straub (Hrsg.), Severin zwischen Römerzeit und Völkerwanderung, 1982, S. 179-200.
  • R. Bratoz: Severinus von Noricum und seine Zeit - Geschichtliche Anmerkungen, 1983.
  • H. Castritius: Die Grenzverteidigung in Raetien und Noricum im 5. Jahrhundert n. Chr. - Ein Beitrag zum Ende der Antike. In: 'H. Wolfram u. A. Schwarz (Hrsg.), Die Bayern und ihre Nachbarn Band 1, 1985, S. 17-28.
  • Franz Miltner: Zum Siedlungswesen im Noricum der Spätantike. In: Carinthia Band I 140, 1950, S. 278-284.
  • Hartmut Wolff: Die Kontinuität der Kirchenorganisation in Raetien und Noricum. In: E. Boshoff und H. Wolff (Hrsg.), Das Christentum im bairischen Raum, 1994, S. 1-28.

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