Gaius Valerius Catullus

2000 Jahre seit dem Tod von Gaius Valerius Catullus

Gaius Valerius Catullus, deutsch kurz Catull genannt, lebte im 1. Jahrhundert v. Chr. (ungefähr 84 v. Chr. bis 54 v. Chr.) und stammte aus Verona. Im Hause seines Vaters, eines Eques, eines römischen 'Ritters', verkehrte sogar Gaius Iulius Caesar. Davon war Catull allerdings nicht sehr beeindruckt und verspottete ihn sogar in einigen seinen Gedichten (Carmina 93 und 57). Catull gehörte zum Kreis der Neoteriker und orientierte sich wie diese vor allem an dem berühmten hellenistischen Dichter Kallimachos. Aber auch die griechische Dichterin Sappho hatte einen sehr grossen Einfluss auf ihn. Seine carmina wurden u.a. von Carl Orff (Catulli Carmina) vertont.

Das wohl berühmteste Gedicht Catulls ist das carmen 85:

Odi et amo. Quare id faciam fortasse requiris.
Nescio. Sed fieri sentio et excrucior.

„Ich hasse und liebe. Weshalb ich das tue, fragst du vielleicht?
Ich weiß es nicht. Doch ich spüre, dass es geschieht, und es kreuzigt mich.“

Werk

Catulls erhaltenes Werk umfasst 116 carmina (Gedichte), die in drei Gruppen unterteilt sind:

  • carmina 1–60: kleinere Gedichte in verschiedenen Versmaßen, sog. polymetra, die auch nugae (Bagatellgedichte) genannt werden; das häufigste Versmaß ist der Hendekasyllabus.
  • carmina 61–68: größere Gedichte in verschiedenen Versmaßen. Das mit 408 Versen längste, carmen 64 (Hochzeit des Peleus und der Thetis), ist ein sog. Epyllion, ein Kleinepos. Im Gegensatz zu den großen Epen, wie Homers Ilias und Odyssee, stehen hier eher unbekannte Ereignisse aus der Mythologie sowie privat-erotische Belange mythischer Helden im Vordergrund.
  • carmina 69–116: Epigramme im elegischen Distichon. Hier ist auch das berühmte carmen 68 zu finden, das älteste überlieferte Beispiel einer römischen Elegie, als deren auctor (Gründer, Erfinder) Catull gilt.

Die 116 Gedichte lassen aber auch noch eine andere Aufteilung zu:

  • carmina 1-60: polymetra, also Gedichte in verschiedenen Versmaßen
  • carmina 61-64: Hochzeitsgedichte in noch lyrischen Strophen (c.61-63) und c.64 in zwar hexametrischer Dichtung, aber noch nicht im elegischen Distichon.
  • carmina 65-116. Gedichte im elegischen Distichon.

Diese Aufteilung ergibt auch ein recht gutes Gleichgewicht zwischen den Längen der einzelnen Abschnitte.

Inhaltlich können die Gedichte drei thematischen Gruppen zugeordnet werden:

Gedichte an und über Freunde, z.B. Einladungen;

Invektiven (Schmähgedichte): In diesen oft derben Gedichten werden (ehemalige) Freunde Catulls und auch einige bekannte Persönlichkeiten (z. B. Anhänger Caesars oder des Marcus Tullius Cicero) verhöhnt. Siehe auch: Satire

erotische Gedichte: Sie sind gerichtet an den Knaben Iuventius, an eine Hetäre namens Ipsitilla, hauptsächlich aber an eine Frau mit dem Decknamen "Lesbia"; darin steckt eine Anspielung auf die Insel Lesbos, wo die von Catull verehrte griechische Dichterin Sappho lebte. Besonders berühmt sind die Kussgedichte 5 und 7, in denen er auf Lesbias Fragen, mit wie vielen Küssen er sich denn zufrieden geben würde, mit Metaphern der Unendlichkeit antwortet. Diese beiden carmina wurden von antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Dichtern immer wieder nachgeahmt, so z.B. von Martial oder von Lessing.

Carmen 51 dagegen ist eine Übersetzung und Weiterdichtung einer bekannten Ode Sapphos.

Catull widmete seine Gedichte Cornelius Nepos.


Probleme der Forschung

Lesbia

Die Forschung hat sich große Mühe gegeben herauszufinden, wen Catull mit Lesbia meinte. Am besten passen die spärlichen Angaben, die von Catull selbst und von Apuleius überliefert wurden, noch auf Clodia, die Gattin des Konsuls des Jahres 60 v. Chr. (Q. Caecilius Metellus Celer) und Schwester des Publius Clodius Pulcher. Es könnte aber auch ihre Schwester oder eine uns heute gänzlich unbekannte Frau gewesen sein - immerhin sind ja die größten Teile der antiken Literatur verloren, und von den meisten Bewohnern des antiken Roms kennen wir nicht einmal den Namen.

Hinter der Suche nach der historischen Lesbia steckt ein biographistischer Interpretationsansatz: Man hofft die Gedichte dadurch besser verstehen zu können, dass man ihren biographischen Hintergrund versteht. Dieser Ansatz ist aber aus zwei Gründen verfehlt: Zum einen bewegt sich diese Interpretationsweise in einem engen Zirkelschluss: Aus den Gedichten zieht man Informationen über Catulls Leben, die dann wieder dazu dienen sollen, eben diese Gedichte zu verstehen. Dass aber tatsächlich gelebtes Leben und nicht literarische (aber leider verlorene) Tradition der Anlass von Catulls Dichten war, dass er sich seine Lesbia also nicht etwa nur ausgedacht hat, wie es wenige Jahrzehnte später Ovid mit seiner Corinna getan hat, ist keineswegs zweifelsfrei bewiesen.

Der zweite Grund dagegen, aus Catulls Gedichten Schlüsse auf sein Leben zu ziehen, stammt von ihm selbst: In carmen 16 verwahrt sich der Dichter persönlich dagegen, von seiner Lyrik auf seinen Lebenswandel zu schließen: In diesem bemerkenswerten Gedicht droht Catull zwei Freunden orale und anale Vergewaltigung an, weil sie auf Grund seiner Kussgedichte (carmina 5 und 7) behaupten, ihm mangele es an Sittlichkeit. Catull betont, dass der Dichter stets keusch und züchtig sein müsse, nicht aber seine Gedichte, die er ironisch als Masturbationsvorlagen für ältere Herren beschreibt ("qui tum denique habent salem ac leporem, si ... quod pruriat incitare possunt, non dico pueris, sed his pilosis, qui duros nequeunt movere lumbos"); abschließend wird die derbe Drohung des Anfangs wiederholt.

Offensichtlich geht es Catull hier weniger um das vordergründige Vergnügen an Obszönität als um Paradoxien: Nicht nur, dass er die beiden Freunde mit groben Schimpfworten für Homosexuelle belegt, obwohl er es doch ist, der gleichgeschlechtliche Handlungen ankündigt, er betont auch im selben Atemzug seine eigene "Keuschheit", von der, würde er seine Drohung wahrmachen, keine Rede mehr sein könnte. Welche der in dem Gedicht erwähnten Handlungen nun zum Bereich der poetischen Fiktion, welche zum realen Leben des Dichters zu rechnen sind, wird so undurchschaubar: Ein Rückschluss vom lyrischen Text auf die Biographie Catulls ist demnach ausgeschlossen - und er ist auch gar nicht nötig, da sich die lyrische Kraft, der anfangs verliebte Taumel und die spätere tiefe Traurigkeit der "Lesbia"-Gedichte, dem Leser auch unabhängig von der Frage erschließt, wer die Dame war und ob es sie in Wirklichkeit je gegeben hat.


Epikureismus

Catull war Anhänger der Lehre Epikurs. Dieser lehrte, dass das höchste Gut eine als Abwesenheit von Schmerz verstandene Lust sei, die erreicht werde durch Unverwirrtheit und Leidenschaftslosigkeit, das heißt durch Vermeidung aller Dinge, die zu Verwirrung und Leidenschaft führten. Als optimale zwischenmenschliche Beziehung wird dementsprechend die Freundschaft empfohlen. Die Folgen einer solchen Weltanschauung für einen Liebesdichter liegen auf der Hand: Nimmt er die Lehre Epikurs ernst, muss eine leidenschaftliche Liebe notwendig in Schmerz, Verzweiflung und tiefem Unglück enden, und genau so schildern Catull und übrigens die Elegiker Tibull und Properz, die ihm folgten, die Liebe: Nicht einmal ein Drittel der Lesbia-Gedichte spricht in positiven Worten von der Liebe; auffällig dabei ist, dass gerade über den ersten beiden dieser positiven carmina ein Schatten liegt: Sie handeln von Lesbias niedlichem "passer" (das Wort wird meist mit Sperling übersetzt, es kann aber wohl jeder andere Käfigvogel sein), der sowohl dem Dichter als auch seiner Freundin (beide scheinen räumlich getrennt zu sein), ein "solaciulum" bringe, einen kleinen Trost. In Gedicht 3 schließlich wird der Tod des geliebten Tieres beklagt - Vorzeichen auf den Tod der Liebe zwischen Lesbia und Catull? In den übrigen 18 von Lesbia handelnden Gedichten klagt Catull über ihre Treulosigkeit und ihr nachgerade nymphomanisches Verhalten (in carmen 58 beschwert er sich, dass Lesbia in Roms Gassen und Straßenecken wie eine Hure "glubit magnanimi Remi nepotes" "des Remus stolze Enkel abschält"). Er zeigt sich zutiefst verletzt, das Dasein ist ihm vergällt, seine Liebe zu ihr wird geschildert als Unsinn, als Feuer, als ekelhafte Krankheit, gar als Folter. So könne er sie zwar nicht mehr achten, aber auch nicht aufhören, sie zu begehren. Das letzte Gedicht der Sammlung, das an Lesbia gerichtet ist, carmen 109, spricht wieder positiv von der Hoffnung auf Lesbias Liebe; aber nicht von Ehe, von einer romantischen Beziehung oder leidenschaftlicher Erotik, sondern bezeichnenderweise von "aeternum hoc sanctae foedus amicitiae", "diesem ewigen Bunde heiliger Freundschaft" - der Einfluss Epikurs ist hier mit Händen zu greifen.

Erneut stellt sich die wiederum unbeantwortbare Frage nach dem biographischen Hintergrund: Wenn das Leiden an dieser Liebe einer philosophischen Überzeugung und nicht gelebter Erfahrung entsprang, wie authentisch sind dann die in den Gedichten geäußerten Gefühle? Der poetischen Wirkung tun diese Zweifel allerdings keinen Abbruch: Die eingangs zitierte Klage des carmen 85 über eine enttäuschte Liebe, die nicht loslassen kann, ist in ihrer Reduktion und extremen Gedrängtheit (acht Verben und kein Nomen in einem einzigen Distichon) ein bleibender Höhepunkt der Weltliteratur.


Die Sperlings- und Kussgedichte im Gesamtwerk

Catull zählt auch heute noch zu den Schulautoren. Während große Teile des Werkes in der Schule keine Beachtung finden, weil sie entweder zu schwierig oder sehr obszön sind, werden die "Sperlingsgedichte" c.2(b) und c.3 und die "Kussgedichte" c.5. und c.7 immer noch gern behandelt - wahrscheinlich, weil sie voll zarter Liebe und empfindsamen Gefühlen zu stecken scheinen. Hier spielt immer noch der oben erläuterte biographistische Interpretationsansatz mit hinein, der in den Gedichten spontane Gefühlsäußerungen eines liebenden und leidenden Jünglings sehen will.

In der Forschung gibt es aber noch eine andere, kontroverse Sichtweise. Schon seit den 60er-Jahren des 20. Jhdts. wird darauf hingewiesen, daß das lateinische Wort passer nicht nur "Sperling" bedeuten, sondern auch als Euphemismus für das männliche Geschlechtsteil dienen kann. Metaphern aus der Tier- und Pflanzenwelt waren nicht nur in der griechischen und lateinischen Sprache beliebt. Auch heute noch dienen sie in modernen Sprachen, incl. der deutschen, als Umschreibungen für Wörter aus dem sexuellen Bereich. Die "Sperlingsgedichte" sind nachgerade gespickt mit Wörtern, die ebenso Deutungen zulassen. So wurde zum Beispiel vorgeschlagen, beide Gedichte als den Wunsch sexueller Aktivität (c.2(b)) und als Impotenz (c.3) zu interpretieren. (Dieser Standpunkt führt unter den Gelehrten zu heftigen Diskussionen und wird kontrovers diskutiert und von manchen auch abgelehnt.)

Dies passt in das Buchganze: Nach dem Widmungsgedicht c.1 sind es die beiden "Sperlingsgedichte", die das Buch eröffnen, durch das sich römische Virilität wie ein roter Faden zieht. Die literarische Figur Catull präsentiert sich von Beginn an dem Leser als impotent und damit eines echten römischen Mannes nicht würdig. Dennoch betont er seine Männlichkeit immer wieder und droht seinen Feinden mit sexuellen Bestrafungen (c.15, c.16 oder c.37). Der Dichter Catull spielte somit auf sehr unterhaltsame Weise mit den Moralvorstellungen der damaligen Zeit. Symmetrisch wiederholt sich das Thema am Buchende: Die Gedichte 114 und 115 sprechen von einem Herrn "Mentula" (zu deutsch etwa "Schwanz"). Diesen Spottnamen gab Catull Mamurra, einem römischen Ritter und Günstling Caesars, der praefectus fabrum in Gallien war. Er taucht des öfteren in den Catullgedichten auf. In den Gedichten betont Catull explizit, dass "Mentula" deswegen so heiße, weil er "non homo, sed vero mentula magna minax", wäre, also „kein Mann, sondern in Wirklichkeit ein großer, drohender Schwanz“ (c.115,8) ist. Somit stehen sich Catulls männliche Schwäche im zweiten und dritten sowie der personifizierte Penis im vorvorletzten und vorletzten Gedicht spiegelverkehrt gegenüber.

Ein zweites Beispiel sei angeführt. In den "Kussgedichten" wird erneut die junge Liebe, das Voneinander-nicht-genug-Bekommen des Paares und die Zartheit der abertausend Küsse thematisiert, so der biographische Ansatz. Diese beiden Gedichte, c.5 und c.7, rahmen dabei ein anderes Gedicht (c.6), das nun einen ganz anderen Ton anschlägt. Frei zusammengefasst spricht Catull mit seinem Freund Flavius und sagt ihm: "Immer wenn Du ein Mädchen hast, redest Du darüber die ganze Zeit. Jetzt bist Du stumm. Daraus schließe ich, das es wohl eine häßliche Schachtel ist. Daß Du aber jemand hast, verrät mir dein durcheinandergebrachtes Bett. Deshalb sag mir ihren Namen und ich kann euch beide mit meinen Versen in den Himmel loben in der Öffentlichkeit groß rausbringen."

Der Kontrast zwischen Catull als dem bloß Küssenden in c.5 und c.7 und dem Freund, dessen Bett von nächtlicher Aktivität ständig knarrt, könnte nicht größer sein. Was das bedeutet, erklärt ein Vers von Ovid. In der ars amatoria schreibt er, als Tip für den Mann: "Oscula qui sumpsit, si non et cetera sumit, haec quoque, quae data sunt, perdere dignus erit." (ars am. I, 669f.). "Wer sich Küsse nahm, wird würdig sein, auch dies, was ihm schon gegeben wurde, zu verlieren, wenn er sich nicht auch noch den Rest nimmt." In anderen Worten: wenn ein Römer schon am Küssen ist, dann soll er das Mädchen auch mit ins Bett nehmen. Wenn nicht, ist er selbst schuld und darf sich nicht beschweren, wenn sich das Mädchen einen anderen sucht.

Für Catull bedeutet das in dieser Interpretation, dass er nur küsst, also über das Vorspiel nicht hinauskommt. Warum dies so ist, hat der Leser schon in c.3 erfahren: weil er impotent ist. Auch hier eröffnet sich durch den Kontext und durch Anspielungen dem Leser eine neue Bedeutungsebene, die aber völlig verloren geht, wenn man die Gedichte aus dem Kontext nimmt.

Noch einmal sei betont, dass dies die Ansicht der Forscher ist, die in dem Werk ein humorvolles Spiel mit den römischen Normen und ebenso mit den literarischen Vorbildern sehen. Für sie ist beispielsweise auch Lesbia nichts anderes als eine literarische Konstruktion. Viele Forscher hingegen halten diesen Interpretationsansatz jedoch für zu weit gehend, teilweise für schlichtweg falsch. Die endgültige Wahrheit wird sich nicht mehr finden lassen, weswegen sich jeder Leser aufs Neue seine eigene Meinung bilden muss.

Es ist unbedingt zu beachten, dass dieser Interpretationsansatz nicht zwangsläufig richtig ist. Gegen die Idee, dass Catull in carmen 3 von seiner eigenen Impotenz spricht, steht, dass das gesamte Gedicht eine Parodie in Form einer Totenklage ist. Catull meint dieses Gedicht nicht ernst.


Literatur

  • Michael von Albrecht (Herausg., Übers.): C. Valerius Catullus. Sämtliche Gedichte - Lateinisch/Deutsch. Reclam, Stuttgart 1995 ISBN 3-15-059395-6
  • Niklas Holzberg: Catull. Der Dichter und sein erotisches Werk. C. H. Beck, München 2002 ISBN 3-406-48531-6
  • Hans Peter Syndikus: Catull. Eine Interpretation. (Drei Bände) Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1984, 1987 und 1990 ISBN 3-534-01507-X, ISBN 3-534-03146-6 und ISBN 3-534-03147-4
  • Thornton Wilder: Die Iden des März. dt. S. Fischer Verlag Frankfurt/Main 1960 (ein Roman)
  • Thomson, D.F.S. (Hrsg.): Catullus. Ausgabe mit Kommentaren. Toronto 1998.

Weblinks

Leben und Werk

Lateinische Texte

Deutsche Übersetzungen

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