Der Mythos von Sisyphos

Der Mythos des Sisyphos (französischer Originaltitel: „Le mythe de Sisyphe“) ist ein philosophischer Essay von Albert Camus aus dem Jahr 1942.

Einordnung in das Werk Camus

Der Mythos von Sisyphos ist neben Der Mensch in der Revolte (l’homme révolté) das wichtigste philosophische Werk Camus. In Der Mythos des Sisyphos entwickelt Camus seine Philosophie des Absurden, die eng mit dem Existenzialismus verwandt ist. Das Essay ist im Zusammenhang mit dem Bühnenstück Caligula (Uraufführung 1945) und dem Roman Der Fremde (l’étranger, 1942) zu sehen, da Camus in diesen drei Werken das gleiche Thema behandelt.

Inhalt

Dem Absurden kann man sich nicht entziehen

Für Camus befindet sich der Mensch in einer absurden Situation. Das Absurde besteht für ihn aus dem Spannungsverhältnis zwischen der Sinnlosigkeit des Lebens (und des Todes) einerseits und der nie erfüllten Sehnsucht des Menschen nach einem Sinn bzw. sinnvollem Handeln. Welche Konsequenzen sind aus dieser Situation "ohne Hoffnung" zu ziehen?

Zunächst verwirft Camus die Möglichkeit des Selbstmords als Lösung. Danach setzt er sich mit Denkern auseinander, welche die Absurdität der menschlichen Situation erkannt haben, insbesondere mit Søren Kierkegaard, L.I. Schestow, Dostojewskij, Martin Heidegger, Franz Kafka und Friedrich Nietzsche. Allerdings hätten diese Denker, eventuell mit der Ausnahme Nietzsches, nach der richtigen Analyse der Situation die falschen Konsequenzen gezogen, indem sie der Absurdität - unter Aufopferung des klaren Verstandes - durch einen irrationellen „Sprung“ (saut) entfliehen wollten. Dieser Sprung besteht je nach Denker in der Zuflucht zu metaphysischen, religiösen oder rationalistischen Rettungsangeboten.

Ständige Revolte und Annehmen der Absurdität als Lösung

Der einzig verbleibende Weg ist die permanente Revolte des Menschen gegen das Absurde und das gleichzeitige Annehmen der Absurdität. In dieser Revolte kann sich der „absurde Mensch“ selbst verwirklichen und zur Freiheit finden. Dem eigentlichen Grund der Absurdität, dem Tod, kann allerdings auch Camus nicht entfliehen:

„Was bleibt, das ist ein Schicksal bei dem allein das Ende fatal ist. Abgesehen von dieser einzigen fatalen Unabwendbarkeit des Todes ist alles, sei es Freude oder Glück, nichts als Freiheit. Es bleibt eine Welt, in der der Mensch der einzige Herr ist.“

("Ce qui reste, c’es un destin dont seule l’issue est fatale. En dehors de cette unique fatalité de la mort, tout, joie ou bonheur, est liberté. Un monde demeure dont l’homme est le seul maître." Aus : Le mythe de Sisyphe; eigene Übersetzung)

Darin gleicht der Mensch der mythologischen Figur des Sisyphos, dessen Tun gerade in seiner äußersten und beharrlichen Sinnlosigkeit als Selbstverwirklichung erscheint -- wenn es denn gelingt, wie Camus schreibt, sich Sisyphos glücklich vorzustellen:

Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. [...] Der absurde Mensch sagt ja, und seine Anstrengung hört nicht mehr auf. Wenn es ein persönliches Geschick gibt, dann gibt es kein übergeordnetes Schicksal oder zumindest nur eines, das er unheilvoll und verachtenswert findet. Darüber hinaus weiß er sich als Herr seiner Tage. In diesem besonderen Augenblick, in dem der Mensch sich seinem Leben zuwendet, betrachtet Sisyphos, der zu seinem Stein zurückkehrt, die Reihe unzusammenhängender Handlungen, die sein Schicksal werden, als von ihm geschaffen, vereint unter dem Blick seiner Erinnerung und bald besiegelt durch den Tod. Derart überzeugt vom ganz und gar menschlichen Ursprung alles Menschlichen, ein Blinder, der sehen möchte und weiß, daß die Nacht kein Ende hat, ist er immer unterwegs. Noch rollt der Stein.“

Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jeder Gran dieses Steins, jedes mineralische Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.

(zitiert nach: Der Mythos des Sisyphos, 2. Aufl., Reinbek, 2001. S. 159f.)

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